Bach in Berlin

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Johann Sebastian Bach, geboren 1685 in Eisenach, war Organist, Kantor und der bedeutendste Komponist des deutschen Barock. Er wirkte in Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Köthen und Leipzig. Bach hatte aus zwei Ehen 20 Kinder, von denen die Söhne Carl Philipp Emanuel (1714-1788), Wilhelm Friedemann (1710-1782) und Johann Christian (1735-1782) ebenfalls berühmte Musiker waren.

Bach war dreimal in Berlin. 1719 holte er von der Firma Mietke ein Cembalo ab. Die Überführung nach Köthen sollte erst stattfinden, wenn das Instrument für gut und geeignet befunden war. Selbst in heutiger Zeit ist ein Instrumententransport immer noch ein Risiko, denn es leidet die reine Stimmung der Saiten, auch die Mechanik kann Schaden nehmen.

Diese erste Berlinreise führte nicht nur zu Herrn Mietke, sondern auch in das Stadtpalais des Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg (1677-1743), zum jüngeren Sohn des Großen Kurfürsten (1620-1688). Bach wusste nämlich, dass dieser kunstsinnige Herr sich ein eigenes Orchester leistete, was für die damaligen Verhältnisse in Preußen, in dem der “Soldatenkönig” Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) regierte, zumindest bemerkenswert war. Und Bach verstand es, Christian Ludwig durch die Darbietung eigener Kompositionen zu gefallen.

Zwei Jahre später schickte er dem Markgrafen ein stattliches Notenpaket, das, versehen mit einer persönlichen Widmung, sechs höfische Konzertmusiken, die “Brandenburgischen Konzerte”, enthielt. Im Begleitschreiben stand: “ Da ich vor einigen Jahren das Glück hatte, mich vor Eurer Königlichen Hoheit auf Ihren Befehl hin hören zu lassen, und da ich bemerkte, dass Sie einigen Gefallen an den kleinen Gaben fand, die mir der Himmel für die Musik verliehen hat, und da beim Verabschieden mich Eure Königliche Hoheit mit dem Auftrag zu beehren beliebte, Ihr einige Stücke meiner Kompositionen zu übersenden: so habe ich denn gemäß Ihrem allergnädigsten Auftrag mir die Freiheit genommen, Eurer Königlichen Hoheit meine ergebensten Aufwartungen mit den vorliegenden Konzerten zu machen, die ich für mehrere Instrumente eingerichtet habe.”(P. Mugay: Berliner Musike, Berlin, 1987, S. 252 f.). Als Datum las man den 24. März des Jahres 1721. Wie Christian Ludwig reagierte, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist die Originalpartitur erhalten geblieben.

Die zweite Berlinreise Bachs galt 1741 seinem Sohn Carl Philipp Emanuel, der als Cembalist und musikalischer Begleiter des königlichen Flötenspielers Friedrich II. (1712-1786) bei Hofe angestellt war, weshalb er auch als der “Berliner Bach” bezeichnet wird. Über diesen Besuch hat uns die Musikgeschichte nicht allzu viel hinterlassen.

Die dritte Reise, diesmal vornehmlich nach Potsdam, war von besonderer Bedeutung. Friedrich II. hatte schon sehr viel von dem großen Thomaskantor gehört, zumal dessen Schüler und persönliche Bekannte in seiner unmittelbaren Umgebung wirkten: Carl Heinrich Graun (1702-1771) war sein Hofkapellmeister, Johann Joachim Quantz (1697-1773) sein Flötenlehrer, Franz Benda (1709-1786) sein Konzertmeister und genannter Carl Philipp Emanuel Bach sein Cembalist.

Johann Sebastian hatte sich nach langem Zögern, das wohl der Beschwerlichkeit einer solchen Reise und seinem Gesundheitszustand geschuldet war, entschlossen, in Begleitung seines Sohnes Wilhelm Friedemann die Fahrt anzutreten. Am 7. Mai 1747 traf man in Potsdam ein. Der Bach-Biograph Philipp Spitta (1841-1894) schreibt: “Es pflegte allabendlich von 7-9 Uhr Hofkonzert zu sein, an welchem der König sich mit Solovorträgen selbst beteiligte. Emanuel und Friedemann haben die nun folgenden Vorgänge genau weitererzählt. Als der König sich eben zu einem Flötenkonzert anschickte, wurde ihm der Rapport über die am Tage einpassierten Fremden gebracht. Mit der Flöte in der Hand übersah er das Papier, drehte sich aber sogleich gegen die versammelten Kapellisten und sagte mit einer Art der Unruhe: Meine Herren, der alte Bach ist gekommen! Die Flöte wurde beiseite gelegt und der alte Bach sogleich auf das Schloss befohlen. Er war in Emanuels Wohnung abgestiegen. Es wurde ihm nicht Zeit gelassen, sein schwarzes Staatskleid anzulegen: im Reisekostüm, so wie er eben war, musste er erscheinen.” (Ph. Spitta: Johann Sebastian Bach, Leipzig, 1953, S. 325 f.).

Friedrich hatte eine hohe Meinung von den Fortepianos des Klavier- und Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann (1683-1753) und bat Bach, seine Cembalosammlung zu begutachten und auszuprobieren. Bach, der ein glänzender Improvisator war, begann sogleich mit einigen beeindruckenden Fantasien, die die Anwesenden, allen voran den König, tief beeindruckten. Dann ersuchte er Friedrich, ihm ein musikalisches Thema vorzugeben, über das er aus dem Stehgreif eine Reihe kunstvoller, polyphoner Variationen erfand. Bach erntete Bewunderung. Beim Abschied versprach er Seiner Majestät, die Improvisation über dessen Thema aufzuschreiben, zu überarbeiten und in Kupfer stechen zu lassen. Nach acht Wochen, am 7. Juli 1747, war die Arbeit getan, und eines der großartigsten Werke des Johann Sebastian Bach war entstanden: das noch heute weltweit gespielte “Musikalische Opfer”. Wie der König auf diese Huldigung reagierte, ist nicht bekannt. - Der König führte wieder einmal Krieg.

Aber dessen Schwester, Anna Amalie (1732-1787), interessierte sich sehr für Musik, vor allem für die Bachs. In ihrem Palais Unter den Linden / Wilhelmstraße empfing sie Freunde schöner Musik, unter anderen den Bachschüler Kirnberger und den Bachsohn Carl Philipp Emanuel. Sie bewahrte alle Noten, die ja meist nur handschriftlich vorlagen, gut auf und übergab sie später dem Joachimsthalschen Gymnasium. Unter den Kostbarkeiten befanden sich die Manuskripte von Bachs Matthäus-Passion, der h-Moll-Messe und des Wohltemperierten Klaviers. Jahre später war es kein Geringerer als Carl Friedrich Zelter (1758-1832), der Bach-Verehrer und Direktor der Berliner Singakademie, der die Noten gewissenhaft katalogisierte. Die musikalischen Schätze befinden sich heute im Besitz der Berliner Staatsbibliothek.

Von Potsdam hatte der Meister einen “Abstaecher” nach Berlin gemacht und die Königliche Oper besichtigt. Gespielt wurde damals nicht. Für die regelmäßigen Opernaufführungen waren nur die Montage und Freitage der Monate Dezember und Januar bestimmt. Aber Bach störte dies nicht. Er interessierte sich für das Gebäude und seine Akustik, die er auch ohne musikalische Darbietungen zu beurteilen vermochte. Er sah gewissermaßen der Architektur Knobelsdorffs an, wie es um ihre akustische Eignung bestellt war.

Die Reise von 1747 war Bachs letzte. Aus einer angeborenen Augenschwäche war 1749 durch rastloses, oft nächtelanges Arbeiten bei schlechter Beleuchtung eine schwere Erkrankung geworden. Mehrere Operationen scheiterten und führten zur völligen Erblindung. Nach einem Schlaganfall starb Johann Sebastian Bach am 28. Juli 1750.

Horst Fliegel



Erschienen in “Berlinische Monatsschrift”, Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., August 1995