Der Berliner Sängerbund wurde Hundert

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Im Jahre 2001 beging der Berliner Sängerbund sein hundertstes Jubiläum. Dies ist im Vergleich mit anderen deutschen Chorvereinigungen zwar kein biblisches Alter, aber immerhin liegen in diesen hundert Jahren doch sehr wichtige Stationen und Entwicklungen, die das heutige Profil des Berliner Sängerbundes entscheidend prägten.

Die musikalischen Wurzeln liegen weiter zurück und reichen bis ins 18. Jahrhundert. Da wäre zunächst Carl Friedrich Fasch (1736-1800) zu nennen, der 1791 die Berliner Singakademie gründete und damit den Grundstein zu geregelter, gehobener Chorpflege in Deutschland legte. Sein Schüler Carl Friedrich Zelter (1758-1832), Baumeister, musikalisches Multitalent und Goethe-Freund, übernahm 1800 nach Faschs Tod die Leitung und setzte durch, dass man im Jahre 1827 ein eigenes Haus am Berliner Festungsgraben beziehen konnte. In diesem von Karl Theodor Ottmer nach Skizzen Karl Friedrich Schinkels errichteten klassizistischen Gebäude bereitete Zelter 1829 die Wiederaufführung von Bachs "Matthäuspassion" vor, die sein bedeutendster Schüler, Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47), mit großem Erfolg dirigierte. Eine der tragenden Rollen übernahm dabei natürlich die Berliner Singakademie. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, im Jahre 1827 hatte die Berliner Chorszene ihr eigenes Haus, aber wie ist das eigentlich im Jahre 2002? Seit 1952 spielt in der ehemaligen Singakademie das Maxim-Gorki-Theater. Zelter war es auch, der 1809 die Liedertafel, eine Vereinigung von Männern zur Pflege des gemeinsamen Gesanges, ins Leben rief und damit ebenfalls eine musikhistorisch bedeutende Leistung vollbrachte. Erwähnt sei noch der Musikpädagoge, Volksliedsammler und Chordirigent Ludwig Erk (1807-83), der im Berliner Musikleben um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine herausragende Rolle spielte und mehrere Chöre begründete.

Am 22. Juni 1901 wurde in Berlin von elf (!) Chören darüber beraten, ob es wohl zweckmäßig sei, eine regionale Gemeinschaftsorganisation zu schaffen, die die spezifischen Interessen der Sänger gegenüber den Behörden und der Öffentlichkeit effektiv vertreten könnte. Am 25. September 1901 war es dann so weit, acht (!) Männerchöre mit insgesamt 909 Mitgliedern bildeten den ersten Berliner Regionalverband. Da zu dieser Zeit Charlottenburg und Köpenick noch selbständige Gemeinwesen waren, sprach man offiziell vom "Regionalverband für Berlin und Umgebung". Potsdamer Sänger gehörten übrigens auch dazu.

Die 20-er Jahre brachten dann wesentliche demokratische Impulse, aber die folgende Zeit zwischen 1933 und 1945 bedeutete Stagnation, Knebelung und Bevormundung. Die deutsche Teilung nach 1945 führte zu einem politischen und künstlerischen Auseinanderleben und schließlich zu gegenläufigen Entwicklungen. Und dann kam 1989/90 die Wende. Die Vereinigung der Ost- und Westberliner Chorvereinigungen zu einem einheitlichen neuen Berliner Sängerbund ist ein denkwürdiger Vorgang, der beispielhaft die unterschiedlichen Konzepte und Strukturen beider Seiten in vorbildlicher Weise zusammenführte. Und hier muss man ganz besonders Professor Reinhard Stollreiter hervorheben, der es verstand, diesen Vereinigungsprozess mit politischem Instinkt, psychologischem Geschick und musikalischer Kompetenz zum Erfolg zu führen.

Heute vereinigt der Berliner Sängerbund rund 220 Chöre mit über 10.000 Sängerinnen und Sängern aus den ehemaligen Ost- und Westteilen der Stadt. Alle haben ihr Können und ihre Erfahrungen eingebracht. Das Vereinsleben funktioniert bestens, und die Arbeit in den Chören ist geprägt von Toleranz, sozialem Verantwortungsgefühl und dem Ziel, gute musikalische Qualität zu erreichen.

Horst Fliegel



Beitrag für die Website des Berliner Sängerbundes,2002